Meine schönsten Selbstgespräche


Holz und Vorurteil

 

Jeder weiß doch, wie das ist mit den Handwerkern: unpünktlich. So schiele ich schon vor dem Termin mit dem Schreiner gereizt auf die Uhr. Also naja, wenn der sich so unverschämt viel Zeit lässt, womit ja leider zu rechnen ist, dann mach' ich mich halt so lange ein wenig zurecht. Emsig leere ich Verpackungen, springe unter die Dusche und schäume mich gewissenhaft ein.

DINGDONG.

DINGDONGDINGDONGDINGDONG.

Einen Moment lang halte ich versteinert inne, dann reiße ich das Handtuch von der Tür, trockne ein bisschen was ab, springe in Rock und T-Shirt und dann durch den Flur.

JAHA, MOMÄHÄNT!

Er trägt Bretter ins Wohnzimmer, ist sehr nett, hat schon schon Kaffee getrunken und vermeidet jeden Blickkontakt, vielleicht wegen dem Wachsstreifen unter meiner Nase.

Hinter meinen Ohren knistert Schaum. An anderer Stelle auch, und da fängt es jetzt auch an zu brennen. Bis der Tisch repariert ist und der Handwerker mit geweiteten Augen das Haus verlassen hat, vorbei an vielen kleinen Pfützen, vorbei an dem Häufchen aus BH und Unterhose, vergeht viel Zeit, in der im Schenkelinnenbereich Pickelchen entstanden sind.

Der erkaltete Wachsstreifen geht nicht mehr gut ab, ich muss schreien, auf der Straße klappt der Schreiner kopfschüttelnd seinen Hundefänger zu.

Nie habe ich teurer für ein Vorurteil bezahlt als mit der Hälfte meiner Oberlippe, und es geschieht mir nur recht.

 


Reßorg niem

 

Im Kindergarten fanden sie, dass du zu viel Phantasie hast. Bei der Vorschuluntersuchung schüttelten sie die Köpfe und nannten deinen Humor bedenkliches Übersprungsverhalten. 

Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie.

Einige Diagnosen.

Eine teure Spezialbrille aus Dresden.

Knarzende Einlagen.

Irgendwas mit Blockaden in Wirbelbereich.

Du hast spiegelverkehrt geschrieben und sie alle damit verrückt gemacht. Der Vogel im Baum vor dem Klassenzimmer. Dein Heft voller Krümel und Rot und Leere und Spiegelschrift. 

Deine freudige, anwesenheitsbefreite Teilnahme an allem.

Deine eleganten Verbeugungen nach Konzerten, denen du mit hängenden Armen und verlegtem Instrument interessiert beigewohnt hast. 

Die allgemeine Ratlosigkeit.

Die Gespräche.

Die Masterpläne.

Die Tricks und Tipps.

Die Fremden, die Freunde an deiner Seite.

In der Schule sagten sie, du seist für die Schule nicht gemacht, und dass ihnen das leid tut.

Viele haben sich für dich stark gemacht, in diesem System mit wenig Platz und wenig Zeit und wenig Geduld.

Manche Mamas haben an deinen Namen ein -chen gehängt und die Noten ihrer Söhne an deinen gewetzt. Ich hätte sie dafür gerne mit Puffreis und Scheißeflöckchen ins Kunstharz gegossen.

Mit 16 hast du deine Siebenmeilenstiefel angezogen und dir deine eigene Schule gesucht. Es gab keinen Auslöser. Es war einfach so weit. Die Schule hat genau zu dir gepasst. Du hast dir alles geholt, was du brauchst. Allein. Es war viel. Mit einem Mal war das -chen weg, vielleicht baumelt es jetzt an einer der Mütter von damals. 

Deine Phantasie, dein Humor, alles noch da, unantastbar, geschliffen.

Dein Grinsen. Deine hellwachen Augen.

Dein sauguter Realschulabschluss.

Deine Art, mich auszulachen für unnütze Sorgen.

Das Heft mit der Spiegelschrift, in einer Schachtel mit der Brille auf dem Dachboden. Wir, hinter dem allem, zusammen. Deine scheußliche neue Jacke in Leuchtfarben.

Weil du du bist.

Weil du's kannst.

Beil os hcid bah.

 

Mama


Ist das Kunst oder muss man's bezahlen?

In den Aufschrei geräuspert.

 

Die Pandemie und die Maßnahmen dagegen wüten zerstörerisch in der Welt der Kulturschaffenden, die sich zu allem Unheil kaum geschmeidig über einen Kamm scheren lassen. Ist der Typ, der sich Tinte ins Nasenloch zieht und damit über handgeschöpftes Papier fährt, eigentlich auch ein Künstler?

Was ist mit der Performancefrau und Ihrem Knochen-Xylophon vom libanesischen Tanzbüffel?

Dürfen sie Geld haben, wenn der Staat ein restliches zusammengekratzt hat auf der Lufthansa-Landebahn?

Sollte man sie nicht wenigstens ein bisschen darum betteln lassen?

Und warum haben diese Leute so unregelmäßige Einkünfte?

Warum in manchen Monaten viel, in anderen nichts?

Wovon leben sie in klammen Novembern, öden Januaren und zähen Aprilen?

Ach, sagen Sie jetzt nichts, wo ist das verdammte Stempelkarussell, bamm, da hast du's, bamm, oder auch nicht.

In Ministerien und Behörden schlägt man die sprenkellosen Hände über den Köpfen zusammen und schickt sich an, die Sache gründlich zu vermasseln, um sich später gramvoll über die zusammengesackte Branche zu beugen.

Kein Puls mehr, Mist, so schade.

Obendrein aber war die Stillegefahr schon vor Corona da.

Und wird auch danach wieder da sein. Es sei denn, wir hören auf, am Wert künstlerischer Arbeit zu zweifeln.

DA KANN MAN ABER PREISLICH SCHON NOCH WAS MACHEN, ODER?

Jede Texterin, jeder Stelzenläufer, jede Steinmetzin, jeder Maler, jede Grafikerin, jeder Redenschreiber, jeder Operntenor, jede Zeichnerin, jede Kabarettistin, jeder Schauspieler, jeder Nasenlochmann und jede Knochenxylophonfrau kennt diesen Satz.

Am Bäckertresen hört man ihn nie, im Zeitschriftenladen nicht, an der Supermarktkasse nicht, beim Metzger vorsichtshalber auch nicht. Der große Aufschrei dieser Zeit gilt der Politik, vielleicht wird es einen Protest geben, bei dem alle Kunst geschlossen mucksmäuschenstill hält. Das finde ich gut, sehr gut, und trotzdem, genau hinein in diese Stille:

ÄH-HRRR-HRRR-HRRRR-HMMMMMM, ÄHEM!

Meine kratzige Ode gegen das preisliche Schonnochwasmachenwollen. Wider das Geringfeilschen, wider das Süßreden, wieder die Idee, dass Kunst jeder Größenordnung ja doch nur ein Spaß ist.

Für gerechte Bezahlung und dringende Wiederaufnahmeproben in Sachen Selbstwirksamkeit.

 

Wer will, gibt 'nen Penny.


Sonntag

 

Schnauze voll davon, mich dafür zu entschuldigen, dass ich ganztägig Kinder mit mir führe. Und manchmal halbe Sätze abrupt in tröstende Worte zu Schürfwunden oder seitlich bepinkelten Sandalen übergehen. Schnauze voll von geschlossenen Familienausflügen, in die wir nicht 'reinpassen, weil unser Papa auch am Wochenende arbeitet und wir damit aus der Sonnenkäferordnung fallen.

Schnauze voll von Absagen in letzter Sekunde, Schnauze voll von "keine Zeit, aber frag doch in drei Wochen noch mal, eventuell entfällt mein Achtsamkeitsseminar.". Niemanden mehr bitten, nicht mehr verheißungsvoller sein müssen als die Wetter-App. Nicht mehr "ach, macht ja nix, war ja nur ne spontane Frage" lügen. Keine Käsebrötchen mehr geschmiert haben für andere, die dann doch nicht mitkommen, um vom selber essen zunehmend Hefezopfform anzunehmen. Mutterseelenallein sein, ohne sich aufzuerlegen, dass das unendlich traurig ist: und plötzlich gehört der Sonntag ganz allein uns, knisternd, prachtvoll und abenteuerlich.

Los!


Regenwürmer

 

Wenn es zu trocken wird, also, unerträglich trocken, bilden die Würmer ein Knäuel.

Eng umschlungene Gleichgesinnte, tief unten in der Erde, warten geduldig ab, bis das machtvolle Donnerwetter des Regens alles andere übertönt.

Das Hupen und Brüllen und Keuchen und Weinen.

Ein konzentriertes Häufchen Leben und Nähe, das warten kann, das vertraut, das nichts sein will außer es selbst,

eng verwoben zum Gegenteil von Einsamkeit.

Spürt einer den Herzschlag des anderen, da unten in der Dunkelheit?

Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, wird mir wurm ums Herz.