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Verloren

Der Großcousine einer Patentante ist folgendes passiert: es war Weihnachten, zwei Familien stießen zueinander und man schlitterte stimmungsmäßig über papierdünnes Eis. Einer, der eine Firma besitzt, unterhielt sich mit ihr, Inhaberin von vier Kindern. Es ging um Projekte, um Geld, die Meinungen waren verschieden. Erst maulte man sich träge an, dann kam es zu mittelgemeinen Bemerkungen.

Dann nahm der Firmamann einen großen Schluck aus seiner Getränkeflöte und sprach: "Besser du hältst die Klappe. Du bist doch nach den Kindern zu Hause geblieben. Hast nichts aus dir gemacht. Du bist ein Loser, du verdienst nichts."

Sie hatte leider gerade ihre Schlagfertigkeit nicht dabei.

Und so traf sie der in Primitivo getränkte Satz mitten ins Herz.

Ihre frühere Arbeit war ihr lieb gewesen, ein konservatives Familienmodell nicht. Es hatte sich so ergeben und nach erschöpfenden Experimenten zu einem Alltag geführt, der für alle am besten funktionierte.

Die Kinder erforderten mehr Kraft als ihr früherer Job.

Als ALLE früheren Jobs.

Natürlich verdiente sie immer noch Geld, aber sie bekam keins mehr.

Und auch die Anerkennung wurde knapp,

da konnte sie noch so lange Eintrittskarten, Probleme und hartnäckige Verkrustungen lösen. 

Sei's drum, sie hatte sich dafür entschieden und war hin und wieder über alle Maßen glücklich. Jetzt aber ist das Wort in ihrem Kopf und räkelt sich dort auf dem Sofa.

LOSER.

Sie sollte es einfach ignorieren, mit genug Selbstbewusstsein, aber es hatte ja keins auf dem Einkaufszettel gestanden.

LOSER.

Sie denkt daran, wenn sie im Babybecken sitzt, Schenkel an Schenkel mit vorübergehend obdachlosen Elternteilen, und sich von einer winzigen Person im Blumenanzug Wasser hinter die Brille gießen lässt.

Sie denkt daran, wenn sie nachts vier vollgekotze Betten abzieht und mit dem Teigschaber gelbe Brocken ins Klo kratzt.

Sie denkt es, als sie den Piccolo für das Engagement im Elternrat entgegennimmt, und sie leert ihn noch auf dem Nachhauseweg durch den kalten Januarregen. 

LOSER.

Sie denkt, dass nicht nur der Mann mit der Firma denkt was er denkt, sondern auch sehr viele Frauen.

Angst kriegt in ihr hoch, davor, dass so noch viele mehr denken als sie denkt dass andere denken, als ob es nicht reichen würde von Jahr zu Jahr unsichtbarer zu werden zwischen Wäschebergen und Läusezetteln. 

Und dass es sich was hat mit den ganzen sämigen, sabberlippigen, kinnbebenden Aphorismen zum Schlagwort "Mutter", solange nicht jede/r über eine Salve Kugeln tanzen muss, der oder die Frauen niedermacht für das was sie leisten, wie sie Dinge entscheiden, wie sie leben. 

Im Büro oder zu Hause, sonstwo.

"Der Himmel ist zu den Füßen der Mutter" hat jemand gesagt. Und ganz vergessen zu ergänzen:

"Also lasst uns endlich aufhören, ihnen Scheiße über die Köpfe zu schütten"...